Das Gegenstück zum ‚schwäbisch unterwanderten‘ Kollwitz-Kiez (wie der seinerzeitige Bundestagspräsident und Anwohner Wolfgang Thierse fürchtete) liefert das (in Kap. 3) erwähnte Quartier zwischen Sonnenallee und Karl-Marx-Straße in Neukölln, in dem manche Alt-Berliner Ureinwohner sich längst in den Nahen Osten versetzt wähnen. Als Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble 2006 die erste Islamkonferenz eröffnete, konstatierte er lakonisch: „Der Islam ist Teil Deutschlands und Europas“. Aber erst seit der damalige Bundespräsident Christian Wulff in seiner Rede am 03.10.2010 zum 20. Jahrestag der deutschen Einheit diesen Satz wieder aufgriff, ist die Aussage Gegenstand anhaltender öffentlicher Debatte (cf. Hess-Lüttich 2021). Dabei ist die Frage, ob der Islam nun zu Deutschland gehöre oder nicht, eigentlich falsch gestellt, weil sie immer wieder zu Missverständnissen darüber führt, was ‚der Islam‘ überhaupt sei, ob die Religion, ihre Riten und Rituale gemeint seien oder die Mitbürger, die ihren muslimischen Glauben praktizieren möchten, wie sie ihn jeweils verstehen. Angesichts der anhaltenden Zuwanderung von Menschen muslimischen Glaubens aus nahöstlichen und afrikanischen Kriegs- und Krisengebieten in den letzten Jahren heischt sie jedoch eine Antwort, weil sie sich im Zuge zunehmender Pluralisierung (und womöglich Polarisierung) der Gesellschaft nicht ohne weiteres von selbst erledigen wird, sofern und soweit muslimische, christliche und säkulare Rechts- und Werteordnungen auseinanderklaffen.