In der öffentlichen Debatte über die Corona-Warn-App kann der Solidaritätsbegriff als wichtiger, aber inhaltlich umstrittener normativer Bezugspunkt gelten. So stehen hier unterschiedliche Solidaritätsrekurse mit heterogenen Voraussetzungen, normativen Implikationen und praktischen Konsequenzen nebeneinander, die einer medizinethischen Untersuchung bedürfen. Vor diesem Hintergrund ist es Ziel des Beitrags, erstens die Bandbreite der Verwendungsweisen des Solidaritätsbegriffs in der öffentlichen Debatte zur Corona-Warn-App anschaulich zu machen sowie zweitens die Voraussetzungen und normativen Implikationen dieser Verwendungsweisen herauszuarbeiten und einer ethischen Bewertung zu unterziehen.
Dazu stelle ich nach einer kurzen Einführung in die Corona-Warn-App und einer Vergegenwärtigung der Grundzüge des Solidaritätskonzepts vier Beispiele aus der öffentlichen Debatte zur Corona-Warn-App dar, die mit Blick auf die zugrundeliegende Identifikation, die Solidaritätsgruppe, den solidarischen Beitrag sowie das normative Ziel erhebliche Unterschiede aufweisen. Sie unterstreichen die Notwendigkeit weiterführender Maßstäbe, um ihre Legitimität zu bewerten. Dazu greife ich auf vier normative Kriterien einer kontextsensitiven, moralisch gehaltvollen Solidaritätskonzeption zurück (Solidaritätsoffenheit, gestaltbare Inklusivität, Angemessenheit des solidarischen Beitrags, normative Abhängigkeit) und evaluiere auf dieser Grundlage die vorgestellten Solidaritätsrekurse ethisch.
Für alle dargestellten Solidaritätsrekurse lassen sich in der Folge kritische Rückfragen formulieren. Dabei werden einerseits die Potenziale und Limitationen von Solidaritätsrekursen in öffentlichen Debatten deutlich. Andererseits werden Schlussfolgerungen möglich, wann eine Tracing-App tatsächlich als solidarische Technologie zur Pandemiebekämpfung verstanden werden kann.
In the public debate in Germany on the Corona-Warn-App, the concept of solidarity is a prominent, but contested normative reference point. Thus, different uses of the concept with heterogeneous assumptions, normative implications and practical consequences stand next to each other and require medical ethical investigation. Against this backdrop, this contribution aims firstly to illustrate the spectrum of understandings of the concept of solidarity in the public debate on the Corona-Warn-App. Secondly, it elaborates the preconditions and normative implications of these uses and evaluates them from an ethical perspective.
Starting with an introduction of the Corona-Warn-App and a general definition of the concept of solidarity, I present four examples for different uses of the concept of solidarity from the public discourse on the Corona-Warn-App that vary regarding the underlying identification, the group of solidarity, the solidarity contribution and the normative goal. They highlight the need for further ethical standards in order to assess their legitimacy. Hence, I use four normative criteria of a context-sensitive, morally substantial conception of solidarity (openness, malleable inclusivity, adequacy of the contribution, normative dependence) to ethically evaluate the solidarity recourses presented.
See how this article has been cited at scite.ai
scite shows how a scientific paper has been cited by providing the context of the citation, a classification describing whether it supports, mentions, or contrasts the cited claim, and a label indicating in which section the citation was made.