Anamnese und klinischer Befund
Wir berichten über eine 51-jährige Patientin, die uns aufgrund einer seit mehreren
Wochen bestehenden und subakut aufgetretenen Gedächtnis‑, Sprach- und Sehstörung unter
der Verdachtsdiagnose einer zerebralen Vaskulitis vorgestellt wurde. Anamnestisch
wurde einerseits von Gesichtsfeldeinschränkungen und einer verringerten Sehschärfe
seit mehreren Wochen berichtet. Zudem bestanden anhaltende Wortfindungsstörungen,
Orientierungsschwierigkeiten (zu Ort und Zeit) und ein streng linksseitiger Kopfschmerz
von stechendem Charakter mit hoher Intensität, begleitet von Übelkeit und einem Ruhebedürfnis.
Die Charakteristik des Kopfschmerzes konnte als Migräne ohne Aura (International Classification
Of Headache Disorders 3 [ICHD 3]: 1.1) klassifiziert werden.
Die zeitliche Versetzung der Symptomatik in Kombination mit dem Nachweis teils diffusionsgestörter
Areale in der MRT ließ die Annahme mehrzeitiger Ischämien zu. Aufgrund dessen und
bei sonst fehlenden kardiovaskulären Risikofaktoren kam zunächst eine vaskulitische
Genese in Betracht. Residuell bestand eine rechtsseitige, rein motorische und spastische
Hemiparese nach kompletter Resektion eines Ependymoms (WHO Grad III) im Bereich des
4. Ventrikels linksseitig mit anschließender Ganzhirnbestrahlung (Strahlendosis unbekannt)
im Dezember 1996. Für diese bestand aktuell keine Veränderung. Aus früheren MR-Aufnahmen
war bereits eine strahleninduzierte Leukenzephalopathie mit multiplen Marklagerläsionen
bekannt. Klinisch-neurologisch zeigten sich aktuell kognitive Defizite für komplexere
Handlungen, eine expressive Aphasie sowie eine homonyme Hemianopsie nach rechts. Es
bestand kein Meningismus und keine erhöhten Körpertemperaturen. Die Entzündungs- und
Basislaborparameter sowie der CRP-Wert (< 0.05 g/l) waren bei Aufnahme normwertig.
Hinweise auf eine endokrine oder metabolische Störung (unauffällige Schilddrüsenhormone
und -antikörper, Nieren- und Leberwerte) ergaben sich nicht. Medikamente wurden bis
auf den bedarfsgerechten Einsatz von Schmerzmitteln nicht eingenommen.
Diagnose
Bildgebung
In Abb. 1 (a FLAIR axial, b kontrastangehobene T1-gewichtete Sequenz) ist jeweils
der Zeitpunkt der akuten Symptomatik bestehend aus einer Gesichtsfeldeinschränkung,
Wortfindungsstörungen, Orientierungsschwierigkeiten und den Kopfschmerzen erfasst.
Hierbei sind deutlich eine Schwellung sowie Schrankenstörung der betroffenen Hirnareale
(siehe weiße Pfeile) im Sinne einer Kontrastmittelaufnahme links temporal dargestellt.
In der Diffusionswichtung ergaben sich entsprechend geringe kortikale Signalsteigerungen
mit korrelierenden Signalabsenkungen in der „apparent diffusion coefficient map“ (ADC;
Abb. 2). Gefäßirregularitäten zeigten sich in der CT-Angiographie und MR-TOF („time
of flight“-Sequenz) nicht.
Erweiterte Diagnostik
Unter Annahme eines infektiösen, autoimmun-entzündlichen oder vaskulitischen Geschehens
erfolgte die Lumbalpunktion und ausführliche Labordiagnostik. Die Liquorzellzahl sowie
das Laktat waren normwertig (Zellzahl 3/µl, Laktat 1,4 mmol/l). Bis auf ein leicht
erhöhtes Liquoreiweiß mit 67 mg/dl zeigten sich keine Auffälligkeiten, unter anderem
waren antineuronale Antikörper (Anti-Hu, Anti-Ri, Anti-Yo, Anto-Ma, Anti-GAD 65, Anti-NMDA-Rezeptor,
Anti-LGI1, Anti-CASPR2, Anti-Zic4, Anti-SOX1), oligoklonale Banden und die vaskulitisassoziierten
Antikörper (ANA, cANCA, pANCA, MPO-Ak und PR3-Ak) negativ. In der Dopplersonographie
der Halsgefäße und der CT-Angiographie ergaben sich keine Hinweise auf eine Gefäßstenose
oder -entzündung, in einer transösophagealen Echokardiographie waren ferner keine
kardialen Pathologien darstellbar. Das Elektroenzephalogramm (EEG) ergab insgesamt
niedrige Amplituden sowie eine milde fokale Hirnfunktionsstörung im Sinne einer intermittierenden
Verlangsamung (5–6 Hz) rechts temporal, ohne Nachweis epilepsietypischer Potenziale,
passend zur Lokalisation der vorbestehenden Leukenzephalopathie.
Diagnosestellung
Nach genanntem Ausschluss wichtiger Differenzialdiagnosen konnte anhand der charakteristischen
MRT-Bilder bestehend aus einseitigen, rein kortikalen Ödemen die Diagnose einer seltenen
Strahlenfolge, dem SMART-Syndrom, gestellt werden. Dazu passten auch klinisch der
subakute Beginn, die Sehstörung sowie der anhaltende Migränekopfschmerz und die Aphasie.
Therapie und Verlauf
Nachdem die Diagnose eines SMART-Syndroms bildgebend und klinisch gestellt werden
konnte, wurden 500 mg Methylprednisolon i.v. über 5 Tage verabreicht. Im Anschluss
sollte die Kortisontherapie im Ausschleichschema (Startdosis Prednisolon 100 mg, jede
Woche um 20 mg reduzieren) fortgeführt werden. Es folgte die stationäre Rehabilitationsbehandlung.
Die Kopfschmerzen waren bereits bei Entlassung vollständig rückläufig, die Aphasie
hatte sich dahingehend gebessert, dass zumindest ein flüssiges Gespräch in wenigen
Worten möglich war. Die Patientin konnte nach 6 Tagen entlassen werden, Nebenwirkungen
der begonnenen Medikation traten nicht auf. Im weiteren Verlauf über 3 Monate zeigten
sich die Orientierungsstörung und Aphasie vollständig regredient, einzig die Gesichtsfeldeinschränkung
war persistierend. Bildgebend zeigte sich im MRT nach 3 Monaten ein Rückgang des Ödems
kortikal okzipital links sowie eine vollständige Regredienz der Schrankenstörung.
Diskussion
Das SMART-Syndrom ist eine sehr seltene postradiogene Komplikation, die sich Jahre
bis Jahrzehnte (1–30 Jahre) nach einer zerebralen Bestrahlung durch eine akut bis
subakut auftretenden Fokalneurologie bemerkbar macht [1]. In der Literatur werden
vor allem eine homonyme Hemianopsie, migräneartige Kopfschmerzen, eine sensomotorische
Halbseitensymptomatik sowie Sprachstörungen berichtet. Die Symptome sind meist nach
wenigen Wochen vollständig oder unvollständig rückläufig [2]. Im Verlauf können weitere,
vor allem klinisch ähnliche Episoden auftreten [3]. Diagnosekriterien für das SMART-Syndrom
wurden 2006 von Black et al. verfasst und enthalten zu klinischen und bildgebenden
Charakteristika auch den Ausschluss anderer möglicher Ursachen. Bislang konnte keiner
Therapie ein Nutzen hinsichtlich einer rascheren Erholung oder Vorbeugung weiterer
klinisch manifester Episoden nachgewiesen werden. In der Literatur werden jedoch häufig
intravenöse Kortikosteroide in der Akutsituation eingesetzt, antithrombotische Therapien
hingegen selten [2, 4].
Die pathophysiologische Ursache des SMART-Syndroms ist bislang nicht bekannt. Möglicherweise
spielen jedoch strahleninduzierte Endotheldysfunktionen eine Rolle, die zu einer Veränderung
der Blut-Hirn-Schranke und damit zu einer streng einseitigen kortikalen Ödembildung
führen. Typische bildgebende Befunde zeigen, passend zu unserem Fall, eine vor allem
okzipital und temporal betonte T2-Hyperintensität ohne relevante Diffusionsstörung
[2, 5], wobei letzteres gelegentlich im Rahmen begleitender reversibler kortikaler
Ischämien beobachtet werden konnte [6], so auch in unserem Fall. Auf Zellebene wird
darüber hinaus eine Veränderung von Ionenkanälen angenommen, die wiederum ursächlich
für epileptische Anfälle sein könnten. In der Literatur treten diese bei etwa 40 %
der Patienten auf, in unserem Fall jedoch nicht [6]. Das EEG weist in der Literatur,
ebenfalls passend zu unserem Befund, unspezifische Verlangsamungen, selten epilepsietypische
Potenziale auf [3]. Eine Biopsie ist nicht zielführend und sollte als invasive Diagnostik
lediglich unter dringendem bildgebendem Verdacht eines Tumorrezidivs herangezogen
werden [1, 2]. Differenzialdiagnostisch sollte vor allem eine zerebrale Vaskulitis,
infektiöse oder autoimmune Meningoenzephalitis, ein posteriores reversibles Enzephalopathiesyndrom
(PRES) und ein postiktaler Zustand nach prolongierten epileptischen Anfällen in Betracht
gezogen werden. Zur diagnostischen Abgrenzung erfolgte in unserem Fall, wie auch in
den berichteten Fällen der Literatur, eine Liquoranalyse mit Bestimmung neurotroper
Viren, antineuronaler und paraneoplastischer Antikörper sowie vaskulitisassoziierter
Antikörper. Während sich bei der Meningoenzephalitis für gewöhnlich eine erhöhte Liquorzellzahl
zeigt, ist dies beim SMART-Syndrom nicht der Fall. Auch Kerklaan und Singh et al.
berichteten, passend zu unserem Befund, von einer diskret erhöhten Liquorproteinmenge
bei normwertiger Zellzahl [7]. Spezifische antineuronale und paraneoplastische Antikörper
sind nicht nachweisbar [6]. Die klinischen Manifestationen eines PRES und eines SMART-Syndroms
können sich unter Umständen sehr ähnlich sein. Die Vorgeschichte einer zerebralen
Bestrahlung lässt jedoch eher an das SMART-Syndrom denken, während Blutdruckunregelmäßigkeiten
sowie autoimmune Erkrankungen für ein PRES sprechen. Bildgebend geht das PRES mit
bilateralen T2-Hyperintensitäten des Marklagers und der kortikalen Region einher,
was es von der einseitigen rein kortikalen Manifestation des SMART-Syndroms unterscheidet
[8].
Fazit für Praxis
Bei Patienten mit der Vorgeschichte einer Hirnbestrahlung und unklaren fokal neurologischen
Defiziten in Verbindung mit Kopfschmerzen sollte vor Einsatz invasiver Diagnostik
an ein SMART-Syndrom gedacht werden.
Typische bildgebende Befunde sind unilaterale, kortikale T2-Hyperintensitäten mit
und ohne Diffusionsstörung.
Therapien mit nachgewiesenem Nutzen existieren bislang nicht, hochdosierte Kortikosteroide
können die Rückbildung der Symptome möglicherweise unterstützen.